NSI DresdenProjekteArtenschutzprogramm Weißstorch in Sachsen

Sächsisches Artenschutzprogramm für den Weißstorch in Sachsen

integriertes Populationsmonitoring, Öffentlichkeitsarbeit und praktische Schutzmaßnahmen

Projektleiter: Jan Schimkat 

Jahrhundertelang war der Weißstorch, der Wappenvogel des NABU, in fast jedem deutschen Dorf zu Hause. Die Zerstörung seiner Lebensräume, insbesondere durch die Intensivierung der Landwirtschaft, führte jedoch zu einem dramatischen Rückgang in ganz Mitteleuropa. 

Deshalb waren von 1993 bis 1995 vom NABU-Naturschutzinstitut Dresden (NSI) im Auftrag des Sächsischen Ministeriums für Umwelt und Landesentwicklung (SMUL) die wissenschaftlichen Grundlagen sowie ein Katalog notwendiger praktischer Maßnahmen für ein Programm zum Schutz des Weißstorchs erarbeitet worden. Damit wurden sachsenweit alle Weißstorchhorste und deren Umgebung erfasst, charakterisiert und kartiert sowie die Horstgeschichte dokumentiert und in Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen Storchenbetreuern in den Kreisen, dem Weißstorchaktiv Dresden und dem NSI Leipzig praktische Maßnahmen zum Schutz des Weißstorches und seiner Lebensräume ausgeführt. Allein 1994 sind fast sechzig Nisthilfen gebaut und Dutzende Horste saniert worden. Wiesen und Feuchtgebiete wurden renaturiert, Kleinteiche angelegt. Auf Initiative der Storchenbetreuer und des NSI Dresden führten Energieversorgungsunternehmen Sachsens in den Storchengebieten Sicherungsmaßnahmen an Freileitungen durch, die den Vogelschlag reduzieren. Der schwierigste Teil der Umsetzung des Programms war und ist aber die Gestaltung von Nahrungshabitaten durch Grünlandvernässung und die Anlage von Kleingewässern inmitten landwirtschaftlich genutzter Flächen. Hierzu gehörte das Pilotprojekt „Sohlwiesen Großdittmannsdorf“: Das NSI Dresden erwarb ab 1996 mit Fördermitteln des Freistaates mehrere Hektar Grünland, führte hier eine Grünlandvernässung durch und pflegte die angrenzenden Wiesen. Es entstanden ein Kleingewässer mit periodisch sehr unterschiedlichem Wasserstand sowie Nass- und Feuchtwiesen. Die neuen Habitate wurden sofort von vielen feuchtigkeitsgebundenen Tier- und Pflanzenarten besiedelt. 

Dennoch musste im Jahr 2000 festgestellt werden, dass die praktische Umsetzung insbesondere von Lebensraumschutzvorhaben die Möglichkeiten von Naturschutzbehörden, ehrenamtlich Tätigen und Naturschutzvereinen überstieg, sodass das Artenschutzprogramm für den Weißstorch seine wesentlichen Zielsetzungen bis dahin noch nicht erreicht hatte. Ausdruck dessen ist der zu geringe und tendenziell weiter eher sinkende Bruterfolg, der keinesfalls ausreicht, um die Abgänge durch die teiweise hohe – in vielen Fällen anthropogen bedingte - Sterblichkeit (zum Teil verursacht durch Nahrungsmangel während der Nestlingsphase und Todesfälle an Mittelspannungsmasten und anderen technischen Einrichtungen) auszugleichen. Zwar sind in Sachsen die Weißstörche noch häufiger anzutreffen als in westlichen Regionen, doch vor dem Hintergrund fortschreitender Flächenversiegelung und -zerschneidung sowie der Umwandlung von Grünland in intensiv genutztes Ackerland ist ihre Lage auch hier nach wie vor kritisch. Im Jahr 1997 wurden zum Beispiel nur noch 346 Brutpaare gezählt, nur 10 Jahre später waren weitere 50 Brutpaare verschwunden. 

Seit 2009 wird die Umsetzung des Artenschutzprogramms im Auftrag des SMUL sowie in enger Zusammenarbeit mit der sächsischen Vogelschutzwarte Neschwitz e. V. und dem Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie vom bisherigen Projektträger, dem NABU Naturschutzinstitut Dresden, koordiniert und mit folgenden Hauptaufgaben betrieben:  1. Aktualisierung und Umsetzung des Artenschutzprogramms Weißstorch in Sachsen, 2. Koordinierung der Schutzmaßnahmen, insbesondere in enger Verbindung zum „Bodenbrüterprojekt“ (Schutz von Feldlerche, Kiebitz, Rebhuhn) des Freistaates Sachsen, 3. Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Behörden, Landwirten, behördlichem und ehrenamtlichem Naturschutz, 4. Öffentlichkeitsarbeit, begleitende wissenschaftliche Arbeiten und Erfolgskontrolle.

Ausgehend von einer Analyse der bisherigen Umsetzung des Programms, der aktuellen Situation des Weißstorchs in Sachsen und den neuesten Erkenntnissen der Forschung und des Schutzes wurden seit 2009 die nächsten Sofortmaßnahmen und mittelfristig umsetzbare Maßnahmen festgelegt und schrittweise umgesetzt.

Maßnahmenentwicklung und -realisierung

Aus den Erkenntnissen zur Lebensraumanalyse wurden sowohl investive Maßnahmen (die zu einer dauerhaften Verbesserung des Nahrungsraumes führen) abgeleitet als auch mehrere nutzungsintegrierte Maßnahmen, die jedes Jahr neu initiiert werden und zur kurzfristigen Verbesserung der Verfügbarkeit der Nahrung dienen sollen. Schon im Herbst 2009 fand eine erste Verständigung mit Landwirten im Projektgebiet Moritzburg/Dresden über nutzungsintegrierte Maßnahmen (Anlage von Feldfutterstreifen in Winterungen und Mais mit anschließender Portionsmahd) statt. Das Fazit der Gespräche: Die prinzipielle Bereitschaft, am Weißstorchprogramm mitzuwirken, ist bei fast allen Landwirten groß (sofern sie für den Mehraufwand angemessen entschädigt werden). Probleme zeichneten sich jedoch bei der Umsetzung der Maßnahmen ab. Denn nur wenige Betriebe können noch Feldfutter verwerten. Das Mahdgut aus einer Portionsmahd mit mehreren Mahdterminen ist heutzutage weder für die Silage noch für die Direktverfütterung geeignet. Deshalb verfügt kaum ein Betrieb noch über die nötige Technik und die Kapazität für eine zeit- und arbeitsaufwändige Portionsmahd. Zudem waren die meisten Landwirte im Projektgebiet nicht dazu bereit, auf ihren Äckern kleine Flächen aus der Bewirtschaftung herauszunehmen. Die ertragreichen Flächen seien zu kostbar, und die Grenzertragsflächen werden oft bereits über EU-Mittel gefördert, was eine kurzfristige Nutzungsänderung unmöglich macht. Auch können die Landwirte, die meist nur Pächter ihrer Bewirtschaftungsflächen sind, eigentlich gar nicht über investive Maßnahmen für den Weißstorch auf ihren Flächen entscheiden. Keiner von ihnen wollte einen Feldfutterstreifen auf Ackerland eigens für den Weißstorch anlegen. Jedoch haben sich viele bereit erklärt, im Interesse des Weißstorchschutzes Grünlandmaßnahmen umzusetzen. Einige waren außerdem gewillt, vorhandene Feldfutter- oder Stilllegungsflächen gestaffelt zu mähen. Ein Landwirt bot an, über viele Jahre hinweg seine Fläche für den Weißstorch angepasst zu bewirtschaften. Ideal wäre es in jedem Fall, investive und nutzungsintegrierte Maßnahmen zu kombinieren mit dem Ziel, auf lange Sicht den Nahrungsraum für den Weißstorch zu verbessern und die Verfügbarkeit der Nahrung zu sichern. Dies käme auch vielen anderen Tier- und Pflanzenarten zugute.

Diskussion

Eine häufige Ursache für das Scheitern von Lebensraummaßnahmen und -projekten sind fehlende Finanzmittel. Seitens des Freistaates wird immer wieder auf EU-Fördermittel verwiesen. Sie werden jedoch in den seltensten Fällen beantragt, da: n viele der naturschutzfachlich sinnvollen und dringend nötigen Schutzmaßnahmen über die existierenden Richtlinien nicht förderfähig sind, n b ei der Pflege von Biotopflächen die Fördersätze dem tatsächlichen Aufwand nicht entsprechen, n die Antragsstellung für ehrenamtlich tätige Einzelpersonen und kleine Gruppen zu kompliziert und umfangreich ist, n ein Großteil des enormen Organisationsaufwandes im Vorfeld und nach der Umsetzung von Maßnahmen nicht förderfähig ist, n der Antragsteller einen Eigenanteil von mindestens 10 Prozent aufbringen und außerdem bis zur Auszahlung der Fördermittel in finanzielle Vorleistung (in Höhe vier- und fünfstelliger Beträge) gehen muss. Die zurzeit verfügbaren Förderinstrumente für den Weißstorch und den Wiesenvogelschutz sind also nur eingeschränkt geeignet. Auch die Koordinierung des Artenschutzprogramms ist über die EU-Richtlinien nicht förderfähig. Ein Projektkoordinator ist jedoch für die erfolgreiche Durchführung des Programms und einen effektiven Mitteleinsatz unbedingt erforderlich. Für bestimmte Maßnahmen, die nicht über die bestehenden Richtlinien gefördert werden können, sowie für die Projektkoordinierung hat der Freistaat Sachsen 2009 spezielle Projektmittel bereitgestellt, die begrenzt auch weiterhin zur Verfügung stehen, aber zur kontinuierlichen Weiterarbeit am Artenschutzprogramm nicht ausreichen. Greift die staatliche beziehungsweise europäische Förderung nicht, gibt es noch die Möglichkeit, investive Schutzmaßnahmen im Rahmen von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu realisieren. Für nutzungsintegrierte Maßnahmen oder die Finanzierung der Programmkoordination eignet sich dieses Instrument jedoch nicht. Und in Anbetracht der sich allgemein verschlechternden Finanzlage wird auch eine Akquirierung von Geldern über Stiftungen, Unternehmen, Vereine oder spendable Privatpersonen immer unwahrscheinlicher.

Lösungsansätze

Zur Optimierung der derzeit zur Verfügung stehenden Förderinstrumente sollte das Beantragungsverfahren für EU-Fördermittel vereinfacht, und es müssten kostendeckende Fördersätze eingeführt werden, die von den Fördersätzen der Landwirtschaft entkoppelt sind. Es sollte größere Flexibilität bei der Festlegung der Nutzungstermine geschaffen, die Förderinstrumente zur weißstorchgerechten Grünlandbewirtschaftung sollten modifiziert und die Gelder in Raten (beginnend nach der Beantragung der Fördermittel) ausgezahlt werden, um die Akteure handlungsfähig zu machen. Außerdem müsste der Freistaat Sachsen die Veräußerung staatseigener Flächen stoppen, um die Situation hinsichtlich der ohnehin knappen verfügbaren Naturschutzflächen nicht noch weiter zu verschärfen, und geeignete staatliche Flächen für den Weißstorchschutz bereitstellen. Eine Verpflichtung, auf wenigstens 10 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsfläche Natur- und Artenschutzmaßnahmen durchzuführen, kann sowohl die Flächenverfügbarkeit verbessern als auch Kosten für Artenschutzmaßnahmen sparen. Die bestehenden Cross-Compliance- Verpflichtungen sollten daher zugunsten der biologischen Vielfalt geändert werden. Für Antragsstellung, Projektbegleitung, Erfolgskontrolle und die Abstimmung der Schutzerfordernisse und Synergieeffekte für den Schutz von Weißstorch und Wiesenarten beziehungsweise Bodenbrütern muss mindestens eine ständig besetzte Koordinierungsstelle geschaffen werden.

Download: Broschüre der 1. Moritzburger Weißstorchtagung (PDF) | 4.32 MB


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